Kunst – Qualität statt Spekulation

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Avery Singers „Happening“ erzielte bei einer Auktion von Sotheby’s 3,2 Millionen Dollar. Singer zählt zu den Namen, die weiterhin begehrt bleiben.

Die schlechte Nachricht: Die große Party am High-End-Kunstmarkt ist vorbei. Die Umsätze sinken, die Preise fallen. Die gute Nachricht: Sammler können jetzt auf Schnäppchenjagd gehen.
Text: Eva Komarek

Seit vergangenem Jahr hinterlässt die geopolitische und wirtschaftliche Krise auch ihre Spuren auf dem Kunstmarkt. Aktuell befinden wir uns in einer merklichen Korrekturphase. War es im Vorjahr laut „Art Basel and UBS Global Art Market Report“ noch eine Abkühlung mit einem weltweiten Umsatzminus von vier Prozent im Gesamtmarkt sowie sieben Prozent im Auktionsmarkt, hat die Talfahrt im ersten Halbjahr 2024 deutlich an Fahrt aufgenommen. Laut Daten des „Artnet Intelligence Report“ sanken die weltweiten Auktionsumsätze für Kunst in den ersten sechs Monaten 2024 um 29,5 Prozent auf 5,05 Milliarden Dollar. Eigentlich ist das nicht überraschend, denn auch der Kunstmarkt folgt den Zyklen der Weltwirtschaft. Die Assetklasse Kunst zählt zu den Spätzyklikern, reagiert also mit Verzö­gerung auf die wirtschaftlichen Entwicklungen. Das ist aber nicht die ganze Geschichte. 

Die Ende Oktober erschienene Studie „Art Basel and UBS Survey of Global Collecting 2024“ zeichnet ein differenzierteres Bild vom aktuellen Kunstmarkt. Die Abschwächung betrifft nämlich vor allem die Hochpreisware im Auktions­sektor. Werke, die um mehr als zehn Millionen Dollar verkauft wurden, sind seltener geworden. Doch während die Preise im höchsten Segment fallen, zeigt sich ein deutliches Wachstum in den niedrigeren Preisklassen. Die in der Studie festgestellten Veränderungen im Verhalten der Sammler „werden wahrscheinlich zu einer anhaltenden Verlagerung des Schwerpunkts weg von den engen High-End-Verkäufen beitragen, die in den vergan­genen Jahren dominiert haben, und die Basis des Marktes verbreitern und das Wachstum in erschwinglicheren Kunst­seg­menten fördern, was in Zukunft für mehr ­Stabilität sorgen könnte“, schreibt die Kunstökonomin und Studienautorin ­Clare McAndrew.

Chancen für Käufer

Für Käufer hat die Korrektur etwas Posi­tives. So ist die Spekulation, die in Boomphasen vor allem über Auktionen die Preise anheizt, vorerst verschwunden und die teils enormen preislichen Unterschiede zwischen Primär- und Sekundärmarkt verringern sich. Das trifft etwa für den Sektor „Ultra-Contemporary“ zu, der zwischen 2020 und 2022 einen Hype erlebte. Jetzt trennt sich die Spreu vom Weizen. Käufer schauen verstärkt auf die Ver­wurzelung der Künstler im Eco-System von Galeriepräsentationen, Ausstellungsgeschichte und dem Markt. Für Sammler bietet sich in dieser Phase die Gelegenheit, wichtige Werke zu günstigeren Preisen zu erwerben. Zu den festen Größen in diesem Segment zählen laut Artprice etwa Avery Singer, Lucy Bull, Lynette Yiadom-Boakye, Jadé Fadojutimi, Toyin Ojih Odutola und Njideka Akunyili Crosby. Auch der in Wien ausgebildete Amoako Boafo zählt zu den Namen, die bleiben werden. Das Belvedere widmet ihm ak­tuell eine Ausstellung. Werke dieser Künstler stoßen sowohl auf private als auch institutionelle Nachfrage.

Im aktuellen Markt ist zudem eine Vor­liebe für historisch übersehene Stimmen zu beobachten, deren Werke jetzt in den Vordergrund rücken und durchwegs auch in den Auktionen gut performen. Preislich sind solche Arbeiten auf einem attraktiven Niveau und bieten Chancen auf Aufwertungen. So rückt beispielsweise Kunst von Frauen generell stärker in den Fokus, quer durch alle Epochen. Ein gutes Beispiel sind Surrealistinnen, die dank institutioneller Aufarbeitung eine Aufwertung erfahren. Surrealistinnen wie Jane Graverol, Eileen Agar, Dorothea Tanning und Leonora Carrington erfreuen sich trotz des schwachen Markts einer guten Nachfrage. Bei Auktionen haben sie heuer besser performt als ihre männlichen Kol­legen, und das trotz des 100-jährigen Jubiläums dieser Kunstströmung. Auch in Vergessenheit geratene Künstler, die neu kon­textualisiert werden, sind einen näheren Blick wert. Dieser Trend ist auf Kunstmessen stärker zu beobachten, wie etwa auf der Art Basel Paris, die mit dem neuen Sektor „Premise“ auf thematisch kuratierte Projekte setzt, die auch Werke von vor 1900 zulassen. Da findet man zum Beispiel Mohamed ­Melehi, einen Meister der ­marokkanischen Moderne, der mit der Casablanca-Schule der 1960er-Jahre in Verbindung gebracht wird. In den 1960er-Jahren waren seine Arbeiten im MoMA in New York ausgestellt. Er geriet aber in Vergessenheit. Auf der Viennacontemporary wurde heuer der Sektor „Context“ eingeführt, der wiederentdeckte oder neu kontextualisierte Werke aus dem späten 20. Jahrhundert ins Rampenlicht rückte, wie die österrei­chische Fotografin und Malerin Inge Dick. Und auf der Frieze Masters widmete sich der Sektor „Spotlight“ in Vergessenheit ­geratenen oder übersehenen Künstlern aus der Zeit zwischen 1950 und 1970. ­Solche Positionen werden im aktuellen Markt mit moderaten Preisen versehen, um Käufer anzulocken. Generell ist zu beobachten, dass die Galerien das Angebot mehr durchmischen und vermehrt auch Formate und Positionen zu günsti­geren Preisen anbieten. Das ehrliche Interesse am Sammeln und an der Kunst selbst rückt in diesem Markt wieder in den Vordergrund und so manche bisher unterbewertete Kunstrichtung erfährt mehr Aufmerksamkeit. Letztlich gibt es für gute Qualität immer einen Markt.