Ein deutsches Start-up plant die Erschaffung von ferngesteuerten Cyborg-Kakerlaken für den Industrieeinsatz. Aber auch die Rüstungsindustrie ist sehr interessiert. Text:Susanne Mayer
Parks gibt es in Kassel. Museen und Kunstsammlungen. Das 200.000-Einwohner-Städtchen zwischen Hannover und Frankfurt ist im besten Fall als kultiviert zu bezeichnen, im schlimmsten Fall als ein bisserl fad. Das könnte sich bald ändern. Denn Kassel ist nicht nur die Geburtsstadt der Gebrüder Grimm, sondern auch einer Idee, in der ausgerechnet Kakerlaken buchstäblich eine tragende Rolle spielen. Das Kasseler Start-up Swarm Biotactics will Schaben zu Miniaturaufklärern machen. Mit Sensoren und Kamerarucksäcken ausgestattet, sollen die widerstandsfähigen Krabbeltiere bald ferngesteuert werden können. Dafür richtet man ihnen mittels leichter Stromstöße in die Flanken aus, wohin sie sich bewegen sollen. Stromstoß links bedeutet ein Ausweichen nach rechts, Stromstoß rechts ein Fliehen nach links, und will man den Turbo zünden, gibt’s eins auf den Hinterleib.
Militärische Gamechanger
Einem Forscherteam aus Singapur gelang diese Beeinflussung des Bewegungsapparats von Kerbtieren nach eigenen Angaben bereits 2024 mit Madagaskar-Fauchschaben: handtellergroße Kakerlaken, die lautstark zu zischen beginnen, wenn ihnen etwas gegen den Strich geht. Auf ihnen wurden Chips, Sensoren und Kameras installiert. Die Forscher aus dem asiatischen Stadtstaat beschrieben ihre angestrebten Ziele noch mit eher harmlosem Vokabular wie „Sammeln von Umgebungsdaten“ oder „Katastrophenhilfe“. In Deutschland scheint man bereits voll auf den militärischen Einsatz der Sechsbeiner gebürstet. Man präsentierte das Jungunternehmen auf der Münchner Sicherheitskonferenz, Sven Weizenegger, Leiter des Cyber Innovation Hubs der deutschen Bundeswehr, streute dem Kasseler Kakerlaken-Start-up Rosen. Als Innovation „mit echtem Gamechanger-Potenzial“ bezeichnet er die ferngesteuerten Insekten, nennt sie „lebende Aufklärungssysteme“, die Tunnel oder Trümmerstrukturen bekrabbeln sollen, und malt sich bereits die Ortung von Feinden, Sprengstoff oder die Überwachung von urbanen Kampfzonen aus, alles auf dem Rücken der Kakerlaken. Aber warum ausgerechnet Ungeziefer?

Unkaputtbar auf sechs Beinen
Swarm Biotactics gibt sich zur Erschaffung seiner insektoiden Cyborg-Armee eher schmallippig. Man halte sich mit Pressestatements noch zurück, heißt es aus Kassel. Das mag auch daran liegen, dass das Start-up erst im Oktober 2024 gegründet wurde und noch keine Prototypen vorweisen kann. Kakerlaken als Geschäftsidee zu nutzen, macht jedenfalls Sinn. Sarah Saadain beforscht an der Veterinärmedizinischen Universität in Wien die Genetik von Schaben. Die Tiere scheinen Darwins Tree of Life schneller als andere Spezies zu beklettern: „Das macht sie enorm anpassungsfähig“, sagt Saadain. So können Insektizide oft nur kurz etwas gegen Schaben ausrichten: „Genetisch passiert da viel – nach wenigen Jahren sind sie wieder resistent dagegen“, sagt die Forscherin. Der Grund dafür liegt möglicherweise in sogenannten springenden Genen. Das sind kleine „springende“ DNA-Stücke, die sich innerhalb des Erbguts ausbreiten können. Springt eines dieser DNA-Stücke in ein Gen, kann es Mutationen auslösen, welche den Tieren eine schnelle Anpassung ermöglichen können. Anpassungen können Studien zufolge auch von außen herbeigeführt werden, wie etwa ein veränderter Tag-Nacht-Rhythmus der Tiere. Manche Eigenheiten der Schaben scheinen genauso einem Science-Fiction-Plot entsprungen zu sein wie Swarm Biotactics’ Geschäftsidee. So wächst ihnen ein in jugendlichem Alter abgetrenntes Bein wieder nach, Krallen an den Beinen machen Kopfüberkrabbeln zum Kinderspiel. Ihre Genügsamkeit käme ihnen auch in unwirtlichen Einsatzgebieten zugute. Saadain nennt sie „Destruenten“: Schaben ernähren sich von abgestorbenem organischem Material, können eine Woche ohne Wasser und mehrere Wochen ohne feste Nahrung auskommen. Sie vermehren sich rasch, sind einfach zu züchten und wenn man sie erschlagen will, braucht man dazu ganz schön Kraft. Der Chitinpanzer, der die Schaben umgibt, schützt die Tiere gegen Krafteinwirkungen, die etwa einem Tausendfachen des eigenen Körpergewichts entsprechen.
Defense Tech im Blut
Ein paar Fragen wirft das Start-up natürlich auf: Wer steckt hinter den Soldatenschaben? Kann man damit Geld verdienen? Und wenn ja, wer zückt dafür das Börserl? Die Männer hinter den Kakerlaken-Spionen (Sind es Kakeronen? Spikalaken?) sind keine unbeschriebenen Blätter in der Szene. Jörg Lamprecht ist Mitgründer des Defense-Tech-Start-ups Dedrone, das mit unerwünschten Drohnen kurzen Prozess machen soll. Das Start-up brachte er zu einem saftig dotierten Exit: eine kolportierte halbe Milliarde Dollar. Jan Peter Schween, der Zweite im Bunde, war Lamprechts Vertriebschef bei Dedrone. Und das technische Mastermind hinter den Insekten-Cyborgs ist Moritz Strube, Wissenschaftler, ausgewiesener KI-Experte und Mehrfachgründer, unter anderem des Unternehmens InspectifAI, einer KI-unterstützten Inspektionslösung für die Pharmabranche. Praktisch, dass ein weiteres Einsatzgebiet der sensorbestückten Kakerlaken die industrielle Inspektion sein soll. In Rohren und Leitungen kann es bekanntlich schon mal eng werden.
Cash für Chitin-Agenten
Selbst ohne Prototypen in petto stößt Swarm Biotactics bei Branchengrößen bereits auf Interesse. Schon einen Monat nach der Gründung kam es zur ersten Finanzierungsrunde, auf dem Weg zum Cap-Table gaben sich auch Granden der Rüstungsindustrie die Klinke in die Hand. Susanne Wiegand, Ex-Chefin des Rüstungskonzerns Renk, soll bereits investiert sein, Florian Seibel, Gründer des Drohnen-Start-ups Quantum Systems, ebenfalls. Und mit Olaf Jacobi ist dem Vernehmen nach ein Investorenschwergewicht des Early-Stage-Investors Capnamic Ventures an Bord, der schon in mehrere Unternehmen von Gründer Lamprecht investiert hat. Auch Rheinmetall steht ganz oben auf der Wishlist der Gründer.
Schützenwertes Ungeziefer? Geld hin oder her – wie war das noch mal mit dem Tierschutz? Schaben mit Kamerarucksäcken ausstatten und in den Krieg schicken: Dürfen die das? In Österreich gilt ein strengerer Tierschutz für Wirbeltiere als für Insekten. Es gibt klare Bestimmungen zu Tierversuchen, Tierschlachtungen und zu Zucht und Verkauf. Die verfassungsmäßige Würde für Tiere gilt jedoch auch für Insekten: Sie dürfen nicht grundlos gequält oder getötet werden. Schaben an der Universität Wien wurden bei Experimenten sogar betäubt, sagt die Forscherin Sarah Saadain. Aber kaum ein Gericht wird den Einsatz von Menschen für gefährliche Missionen jenem von Insekten vorziehen. Am besten nicht zu lange von solchen Nebensächlichkeiten aufhalten lassen. Denn bei Swarm Biotactics will man die Cyborg-Armee bald um ganz andere Kaliber ergänzen: Tauben und Haie stehen bereits auf der Liste. Der nächste Krieg könnte animalisch werden.