Höhenflug statt Luftschloss

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Jürgen Greil: Zuerst macht er international Karriere – und gründet erst dann sein Unternehmen. Das bringt Erfahrung und macht gegen Rückschläge resilienter.

Trotz spektakulärer Versuche und futuristischer Prototypen blieben Flugtaxis bis jetzt eine Vision einer nicht allzu nahen Zukunft. Das könnte ein Oberösterreicher jetzt ändern. Als erfahrener ­Manager in der internationalen Autoindustrie weiß er, wie man teure Fehler vermeidet.
Text: Kim Kopacka

„Meine Mutter sagt immer, mein erstes Wort war nicht ‚Mama‘ oder ‚Mutti‘, sondern ‚Dusennager‘ – also ‚Düsenjäger‘“, sagt Jürgen Greil mit ei­nem Schmunzeln. Der Oberösterrei­cher träumte vom Fliegen, noch bevor er lau­fen konnte. Mit 19 hob er endlich ab – mit einem Drachenflieger. Es folgten Paragliding, Segelfliegen, später auch die Lizenzen für den Privat- und den Be­rufspiloten, samt Multi-Engine und Instrumentenflug. Sogar den Hubschrau­berschein hat Jürgen Greil gemacht.

Gründung mit 50

Trotz aller Höhenflüge ist der 56-Jährige aber mit beiden Beinen auf dem Boden geblieben. Und auch nach unzähligen Stunden in der Luft, ob als Pilot oder als Passagier, fühlt sich jeder Start für ihn noch immer „ein bisschen wie ein Wunder“ an. Als Jürgen Greil 2019 das Flugtaxi-Unternehmen FlyNow Aviation gründete, kam dies daher wenig überraschend. Vielmehr stellte sich die Frage: Warum erst jetzt? Denn der Oberösterreicher hatte längst bewiesen, dass er komplexe Technologien auf die Straße bringen kann. Wieso also nicht auch in die Luft? 23 Jahre lang arbeitete er in der Automobilbranche, unter ande­rem bei Opel, Porsche und BMW. Dort war er für alternative Antriebe wie Elek­tro, Hybrid und Brennstoffzellen verant­wortlich und spielte bei der Entwicklung des Elektromodells i3 eine Schlüsselrolle. Später zog es ihn von München nach China, zu Great Wall Motor – dem größ­ten SUV-Hersteller der Welt.

„Es ist kein Zufall, dass Leute wie Porsche oder Ferrari ihre Unternehmen – so wie ich – mit etwa 50 Jahren gegründet haben. Sie hatten 30 Jahre Berufserfahrung, bis sie gesagt haben: ‚Jetzt ist der richtige Zeitpunkt.‘“ Denn wer etwas Neues auf die Beine stellen möchte, braucht ein dickes Fell und muss mit Widerstand rechnen – aus allen Rich­tungen. Das hat schon etliche Start-ups zu Boden gebracht.

Doch was macht Jürgen Greil anders als die Konkurrenz? Und wie will er eine Bruchlandung verhindern?

Das Geheimnis seines Erfolgs

Spricht man mit dem Unternehmer, wird einem schnell klar: Hier geht es weder um Luftschlösser noch um Dollarzeichen. Jürgen Greil weiß genau, was er tut und was er braucht, um seine Ziele zu ­erreichen. „Wir haben erst gegründet, nachdem wir das Konzept mit der Austro Control besprochen und ihre Unterstützung eingeholt hatten“, erklärt er. „Das war wahrscheinlich ein etwas anderer Ansatz als bei den meisten Mitbewerbern. Denn viele bauen einfach mal drauflos und fragen sich später, ob das überhaupt zugelassen werden kann.“

Ein weiterer Vorteil von FlyNow gegenüber der Konkurrenz: Die eCopter werden technisch nicht als Drohnen, sondern als Hubschrauber eingestuft. Dadurch kann das Unternehmen auf bestehende Zertifizierungen zurückgreifen. Hinzu kommt, dass der eCopter nicht autonom, sondern automatisch fliegt. Auch das vereinfacht die Zulassung. „Das Ding ist im Grunde dumm“, sagt Jürgen Greil trocken. „Es fliegt immer wieder dieselbe Route ab, trifft keine eigenen Entscheidungen. Man kann sich das vorstellen wie eine Seilbahn – nur ohne Masten und Seil.“ Einen Pilotenschein braucht man dafür nicht. Und auch keine lernfähige Software. Die Steuerung übernimmt, wie im Flugzeug, der Autopilot.

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Greil hat sich genau überlegt, wie man ein Fluggerät konstruieren muss, damit es für die industrielle Massenfertigung taugt. Henry Ford stand Pate.

Zahlen statt Träume

Die ersten Tests am Flughafen Salzburg ha­ben die Prototypen bereits bestan­den, vorerst noch durch Leinen gesichert, um den Flugverkehr nicht zu gefährden. Vor gut einem Jahr begann man mit dem Aufbau der Serienfertigung, einschließlich Produktion, Lieferkette und Partnernetzwerken. Auch die Zertifizie­rung läuft seitdem.

Geplant sind zwei Ausführungen: eine Cargo-Variante für Frachten bis 200 Kilo­gramm und eine Personenversion mit Ein- und Zweisitzern. Der Fokus liegt dabei klar auf dem Passagiermodell. Immerhin möchte man mit den Flugtaxis den Straßenverkehr – also vor allem Autos – ersetzen. Und wie Statistiken zeigen, sitzt in acht bis neun von zehn Autos weltweit meist nur eine Person. Besonders morgens im Berufsverkehr.

Auch die Batterie ist darauf ausgelegt und schafft rund 50 Kilometer Reich­weite. Das mag nicht nach viel klingen, macht aber durchaus Sinn, wenn man Städte wie Wien, Berlin oder London betrachtet. „Die haben in der Regel einen Durchmesser von 30 bis 40, manchmal auch 50 Kilometern. Wobei wir davon ausgehen, dass die meisten Flüge ohnehin deutlich kürzer ausfallen“, erklärt der FlyNow-CEO. Natürlich gebe es Ausnahmen wie etwa Los Angeles mit einem Durchmesser von 70 bis 100 Kilometern, inklusive Vororte. „In solchen Megastädten fahren aber die wenigsten quer durch die ganze Stadt.“ 

Aus Fehlern gelernt

Der Innviertler kennt auch die Stolper­steine der Autoindustrie und weiß, was er anders machen möchte. „Als klar wur­­de, dass der Umstieg von Verbrennern auf Elektroantriebe kommt, hat man mei­ner Meinung nach einen großen Feh­ler ge­macht: Man hat sich bei E-Autos fast nur auf das Premiumsegment konzentriert“, sagt er. Das rächt sich jetzt. Mittlerweile gibt es deutlich mehr Premiumfahrzeuge als Kunden, die sie sich leis­ten können. Viele Hersteller bleiben daher auf ihren teuren Modellen sitzen.

Genau das will FlyNow vermeiden. Das Ziel: ein eCopter, der so viel kostet wie ein gut ausgestattetes Mittelklasseauto. Da­für geht das Team bewusst einen anderen Weg als viele Konkurrenten, deren Systeme oft zu komplex, zu teuer und nur mit viel Handarbeit produzierbar sind. „Wir haben uns überlegt, wie man so ein Fluggerät konstruieren muss, damit es für die industrielle Massenfertigung taugt – ganz ähnlich, wie es Henry Ford mit dem Automobil vorgemacht hat.“

Ansprechen möchte man vor allem Geschäftskunden, die mehrere Standorte in einer Stadt haben. Das werden anfangs professionelle Luftfahrzeugbetreiber wie Airlines oder Privatjet-Anbieter sein, da diese bereits die nötige Erfahrung im Luftfahrtbetrieb mitbringen. Langfristig sollen jedoch auch andere Unternehmen, etwa solche mit eigenem Personentrans­port, die eCopter nutzen können. Zu­dem sollen die Modelle auch über eine Plattform buchbar sein. Wie Taxis, nur mit dem Un­terschied, dass sie 150 bis 300 Meter über dem Boden fliegen und Geschwin­digkeiten bis 130 km/h er­reichen. Der Preis für einen Flug wird dabei zwischen jenem für ein Ticket im öffentlichen Nahverkehr und einer Taxifahrt liegen.

„Wenn Flugtaxis sozial, ökonomisch und ökologisch nachhaltig sind, wäre es ein Gewinn für alle.“

– Jürgen Greil –
Gründer FlyNow Aviation

Das liebe Geld

Doch wie finanziert man so ein Unternehmen? „Am Anfang haben wir erst mal unser eigenes Geld reingesteckt. Zum Glück haben wir aber auch recht früh einen Investor gefunden“, sagt Greil. Außerdem kam Unterstützung von der österreichischen Wirtschaftsförderung, über PreSeed und eine Seed-Finanzierung. Heute ist das Unternehmen breiter aufgestellt: Es gibt Venture-Capital-Geld und Investments von Family Offices aus Europa und den USA. „In den letzten zwei Jahren waren wir außerdem viel im arabischen Raum unterwegs. Gerade sind wir dabei, eine neue Finanzierungsrunde abzuschließen – diesmal wohl mit Investoren von dort.“

Was Jürgen Greil antreibt, ist aber nicht das Geld. Auch nicht der Traum, sich irgendwann auf einer einsamen Insel zur Ruhe zu setzen. „Da wäre mir spätestens nach zwei Tagen langweilig“, lacht er. Was ihn wirklich bewegt, ist der Wunsch, etwas zu verändern. Auf der Straße. In der Luft. Und in den Köpfen der Menschen.

Bewegung in den Köpfen

„Vor etwa 100 Jahren hatten nur der Bürgermeister, der Pfarrer und der Lehrer ein Auto“, erzählt er. Der Rest – rund 90 Prozent – arbeitete in der Landwirtschaft und blieb das ganze Leben in einem Umkreis, den man zu Fuß erreichen konnte. Fünf, vielleicht zehn Kilometer. Mit dem Rad war’s etwas mehr. Seine Großmutter zum Beispiel fuhr nur ein- bis zweimal im Jahr, wenn Kirtag war, in die nächste Bezirkshauptstadt. Doch dann, in den 70ern, hatte plötzlich fast jeder ein Auto. Und man konnte zum ersten Mal an den Gardasee fahren. Dort Urlaub machen. Den eigenen Horizont erweitern.

Ready for Take-off

Reisen ist für uns heute selbstverständlich. Ein Wochenende in New York oder auf Mallorca? Kein Problem. Ticket buchen, ab in den Flieger und los geht’s. Doch Jürgen Greil denkt weiter. „Was wäre, wenn man nicht nur in einem Flugzeug sitzt und durch ein winziges Fenster starrt, aus dem man kaum etwas erkennt? Was, wenn man stattdessen 150 Meter über der eigenen Stadt fliegt? Über den Ort, in dem man lebt. Und plötzlich alles aus einer völlig neuen Perspektive sieht?“ Das, sagt er, verändert etwas im Kopf. Das schärft den Blick für das, was einen wirklich umgibt. Jürgen Greils Traum, 3D-Mobilität für viele zugänglich und leistbar zu machen, könnte schon bald Wirklichkeit werden. Die ersten kommerziellen Flüge mit der Cargo-Version sind für 2026 oder 2027 geplant, voraussichtlich in Saudi-Arabien. Dort sind sowohl die Rahmenbedin­gungen als auch die Investitionsbereitschaft für neue Mobilitätskonzepte besonders günstig. Ab 2029 oder 2030 soll dann auch der Personentransport starten. „Und wenn das Ganze noch dazu sozial, ökonomisch und ökologisch nachhaltig ist, wäre es ein Gewinn für alle“, ist er überzeugt. „Für jene, die die Flugtaxis direkt nutzen, aber auch für die, die dadurch nicht mehr im Stau stehen.“ 

Infobox: Was ist ein Flugtaxi?

Flug- oder Lufttaxis (eVTOL – electric Vertical Take-Off and Landing) sind kleine, elektrisch ­betriebene Fluggeräte, die Menschen und Fracht schnell über kurze bis mittlere Distanzen trans­portieren. Ähnlich wie ein Taxi, nur in der Luft. Der große Vorteil: Start- und Landebahnen sind nicht notwendig, da Flugtaxis – wie Hubschrauber – senkrecht starten und landen können. Und das quasi auf jedem Flachdach. Ebenso wenig müssen neue Straßen, Tunnel oder Schienen gebaut ­werden. Dadurch sind auch abgelegene Regionen mit dem Flugtaxi erreichbar. Das Ziel ist nicht, ­Autos zu ersetzen, sondern das bestehende ­Verkehrsnetz zu ergänzen, die Reisezeit zu ­ver­kürzen und den Individualverkehr in den ­Städten zu entlasten.