Automobil – Das italienische Kulturinstitut

Ausgewählte Beiträge

Auto_LanciaPuRa-(22)
Das Concept Car Pu+Ra HPE zeigt, wo Lancia stehen könnte, wenn die Fantasie an die lange Leine dürfte. Der Stratos schimmert gut durch.

Lancia starb mehrere Tode, die aber waren voller Schönheit und Würde. Dennoch gibt es die Marke noch immer und sie soll sogar bald ziemlich bunt erblühen.Text: Rupert Streiter

Immerhin, Lancia darf weiterleben. Auf diese frohe Kunde mussten die Fans ein paar Jahre warten, und die Zeit davor war noch grausamer: Das Emblem, das einst für noble Extravaganz und brillante Ingenieursfreude bis zum Ruin stand, dieses Emblem war auf Chrysler-Modellen zu sehen, um sie für Europa kompatibel zu labeln. Das gelang leidlich, und die Fans der feinen Schule wälzten sich weinend am Garagenboden. Immerhin kam der Lancia Ypsilon als nobler Kleinwagen bis in die Gegenwart – gebaut in Polen, verkauft letztlich nur noch in Italien, na ja.

Auto_LanciaPuRa_28

Die frühen Innovationen

Die Lancia-Fans waren also stilles Leiden gewöhnt, konnten sich aber an einer Historie laben, die zahlreiche Innovationen in den Bau von Automobilen eingebracht hatte: die selbsttragende Karosserie, den Serien-V6 mit 60 Grad Zylinderwinkel, den mittig angeordneten Schalthebel, Zylinderblöcke mit tauschbaren Laufbuchsen, elektrische Scheinwerfer und den elektrischen Starter in Europa. Auch die Person des Firmengründers hatte eine höchst interessante Biografie: Vincenzo Lancia, 1881 in eine vermögende Industriellenfamilie geboren, hätte sich nie die Hände in einer Werkstatt ölig machen müssen, aber seine Liebe zur Technik zog ihn früh vom Schreibtisch weg. Die Werkstatt der Brüder Ceirano, die Fahrräder und bald auch Autos fertigte, freute sich über den jungen Mann, der von der Buchhaltung bis zum Konstruieren und Testen alle Talente einbrachte. Bald wurde er bei Fiat Testfahrer mit ordentlichen Abstechern auf die Rennstrecke, flink galt er als schnellster Mann der Welt und bis in die USA wurden Spielzeugmodelle seines Siegerwagens verkauft. 1906 gründete Vincenzo Lancia schließlich seine eigene Marke.

Auto_Lancia-Aurelia-Coupe-c-Pininfarina
Technisch und optisch war das Aurelia Coupé ein möglicher Urmeter der Ästhetik, daran hat sich bis heute nichts geändert.
Auto_Lancia-Fulvia-Coupe-2

Schnell, schön und zuverlässig

Vom Fleck weg setzte Lancia auf technische Ästhetik und beste Qualität – die Menschen, meinte er, würden dafür gerne etwas mehr bezahlen, und anfangs ging die Rechnung auf: Lancias waren schnell, schön und zuverlässig, sie wurden bis in die USA exportiert, und Innovationen wurden selten den aktuellen Modellen einkonstruiert, sondern sie kamen mit neuen Typen auf den Markt. Lancia galt als Marke der Ingenieure, fertigte V-Motoren mit exotischen Zylinderwinkeln (die waren dann etwas kürzer als Reihenmotoren, aber deutlich aufwendiger zu konstruieren), der Lancia Lambda brachte 1922 die selbsttragende Karosserie in den Automobilbau ein. Weitere technische Finessen dieses damals ungewöhnlich niedrigen Autos: V4-Motor mit 13 Grad Zylinderwinkel, per Königswellen angetriebene, oben liegende Nockenwelle, hydraulische Stoßdämpfer, Einzelradaufhängung vorne. Folglich wählten Karosseriebauer den Lambda, als es ihn später doch wieder mit separatem Fahrgestell gab, gerne für besonders futuristische Entwürfe: Der Airway Saloon von Albany Carriage nahm 1927 auffällige Anleihen bei Flugzeugen; und als der Architekt Adolf Loos die Skizze eines futuristischen Autos auf eine Serviette warf (es zeigte eine Limousine mit einer Art Dachausbau), wählte er als Basis unverkennbar seinen Lancia.

Vincenzo Lancia schickte seine Serienmodelle in Rennen und erreichte bei der Mille Miglia 1927 den vierten Platz, Greta Garbo fuhr Lambda, die Marke hatte ein Verkaufslokal am Sunset Boulevard in Hollywood. In Österreich kümmerten sich Smoliner & Kratky um den Import, das Verkaufslokal lag am Wiener Stubenring, immerhin.

Mit der Aprilia der späten 30er-Jahre war Lancia wieder ein Jahrzehnt voraus: V4-Motorblock aus Alu mit wechselbaren Laufbuchsen und halbkugelförmigen (hemisphärischen) Brennräumen, aerodynamische Linien, hintere Einzelradaufhängung mit innen liegenden Bremstrommeln – das schafften andere Hersteller erst deutlich später, manche US-Firma ist heute noch stolz darauf, hemisphärische Brennräume zusammenzubringen.

Vincenzo Lancia allerdings verstarb am 15. Februar 1937, wenige Tage vor Produktionsstart der Aprilia. Adele Lancia führte das Unternehmen, bis der gemeinsame Sohn Gianni (1924–2014) 1949 seine Ausbildung abgeschlossen hatte.

Auch unter seiner Führung blieb Lancia eher ein Kulturinstitut, das die Welt mit technischen Kunstwerken und ingeniöser Ästhetik (die Aurelia von 1950 hatte den ersten Alu-V6 mit 60 Grad Zylinderwinkel in Serie) zu verschönern trachtete, den Motorsport mit schnellen Preziosen bereicherte und im Zweifelsfall stets zur aufwendigeren Lösung tendierte: So kaufte Lancia beispielsweise die Bremsen seiner Autos nie bei den etablierten Herstellern, sondern fertigte sie selbst; und als ein potenterer V6 gefragt war, vergrößerte Lancia nicht einfach den etablierten 2,5 l, sondern konstruierte einen völlig neuen 2,8 l. Natürlich verzweifeln heute die Restauratoren an all dem.

Mit der Technik der Flaminia brachte Pininfarina (Huldigung in assets 1/24) in der zweiten Hälfte der 50er-Jahre die Trapezlinie auf die Straße, aber noch immer tänzelte die Marke am Abgrund entlang, manchmal auch tief in diesem drin.

Gianni Lancia verkaufte seine Firmenanteile 1955 an Carlo Pesenti, der Rest der Familie folgte etwas später. Pesenti hatte als Zementindustrieller wenig Erfahrung mit federleicht konstruierten Automobilen, also holte er den Konstrukteur Antonio Fessia ins Haus. Unter seiner Regentschaft reifte mit der Flavia Italiens erster Serien-Fronttriebler, die Fulvia mischte den Rallyesport auf, aber auch Carlo Pesenti verdiente mit Lancia weniger Geld als erhofft, nämlich keines. 1969 gab er auf und Fiat übernahm.

Auto_Lancia-Fulvia-Coupe-1
Auto_Lancia-Delta-Integrale-1
Das Fulvia Coupé konnte feminin sein und dennoch Rallyes gewinnen, beim Delta Integrale trat das Maskuline deutlich in den Vordergrund.

Neuer Eigner, alter Glanz

Während der Stratos mit seiner Keilform die Designwelt narrisch machte (und dreimal die Rallye-WM gewann), reifte der Lancia Beta 1972 als erstes Modell aus dem Fiat-Baukasten. Die Lancia-Ingenieure aber waren noch immer ausreichend gut in Form, um praktisch das gesamte Auto neu zu konstruieren. Selbst die prinzipiell vom Fiat 131 übernommenen Motoren wurden so innig verfeinert, dass sie letztlich nur Zylinderkopf, Dichtungen und Pleuel unverändert übernahmen.

Als Lancias letztes Aufbäumen im alten Glanz gilt vielen Fans der Delta (Integrale!, aber lieber nicht an den Rost denken), dann ließ Fiat das Gesamtkunstwerk verdörren. Lancia durfte noch einige Jahre den in Alcantara ausgekleideten Luxus auf die Straße bringen, dann kamen die umgelabelten Chrysler, schließlich übernahm Stellantis als neuer Eigentümer.

Jetzt aber regt sich wieder was.

Das Bekenntnis zur Marke bekräftigte Stellantis im Vorjahr mit der hinreißenden Studie Pu+Ra Concept, da konnte man schon die Keilform des Stratos durchschimmern sehen. Von der ist der neue Ypsilon naturgemäß noch etwas entfernt, aber etliche Designzitate tief aus der Markengeschichte lassen elegant darüber hinwegsehen, dass die Plattform bei Stellantis schon den Opel Corsa, den Peugeot 208 oder den Jeep Avenger trägt – solide, bewährte Technik, die nicht vom gut auf Lancia gebürsteten Interieur ablenkt, auch das Preisschild soll gut lesbar sein. Wer sich an den 156-PS-Elektroantrieb partout nicht gewöhnen kann, darf einen Mild Hybrid mit 100 PS wählen, eine HF-Version mit 240 PS steht bereits am Horizont. Zwei weitere Modelle sollen noch kommen, der neue Ypsilon ist auch für Österreich vage fürs zweite Halbjahr 2025 angekündigt. Wer da nicht folgen will, darf sich weiterhin an Lancias reicher Vergangenheit laben. Als 1999 Ideen zur Wahl des Autos des Jahrhunderts gesammelt wurden, fand die kleine Marke Lancia mit sechs Modellen in die Liste. Dass keines davon final gewonnen hat, passt irgendwie auch ganz gut zur Marke.